Bleiben Sie auf der Hut

Ewa Finn

Bleiben Sie auf der Hut

Es erinnert an Caspar David Friedrich. Das Gemälde von einem Mann, der mitten im Meer steht. Eine Rückansicht.

Jünger, als der Mann auf dem Kreidefelsen Rügens. Auf den ersten Blick wirkt der junge Mann im Meer friedlich.

Und doch spürt man eine Bedrohung. Hört ein Brummen und der Boden scheint zu vibrieren.

Der Blick sucht im Bild nach Anzeichen einer Gefahr und findet sie oben rechts am Himmel. Zwei Düsenjets.

Links davon – viel größer – die Sonne. 

Immer wieder überqueren russische Kampfjets die Ostsee und provozieren damit die baltischen Staaten,

die einst unter der Herrschaft der Sowjetunion standen.

Ewa Finn, 1979 in Warschau geboren, kennt die spannungsgeladene Atmosphäre und fängt sie in diesem Bild ein.

Der Titel: „Territorium“ nimmt dem Bild den Caspar-David-Friedrich´schen Frieden

Ihre Bilder, oft in Pastell gehalten, wirken zart und luftig. Schaut man näher hin, läuft einem ein Schauer über den Rücken.

Auf einer scheinbar harmlosen Wiese, sieht man vier Beine. Zwei stehen, die anderen sind an die stehenden gekippt.

Ein roter Strom fließt von den gekippten Beinen. „Kain und Abel“.

Lernt man die Absolventin  der Berliner Universität der Künste kennen, so begegnet man einer zierlichen, mädchenhaften Frau.

Die Größe und Schwere ihrer Bilder-Themen überrascht. Ewa Finns Waffe: der Pinsel.

Und den zückt sie mit einem koboldhaften Flackern im Blick.

Was Ewa Finn und ihre Bilder ausmacht ist ein grimmiger Humor.

Der Betrachter wird aufs Glatteis gelockt. Man verlässt sich auf süßliches Himmelblau – ein Baby, das auf einem Teppich liegt.

Verstörend ist ein roter Faden, der um das friedliche Baby gewickelt ist. Der Titel „Schutz“ verstört noch mehr.

Darf man dem friedlichen Ausdruck des Babys trauen?

„Es gibt eine Tradition, Babys Fäden um das Handgelenk zu wickeln. Als Symbol des Schutzes“, erklärt die Künstlerin.

Also nicht nur Gewalt und Schmerz. Auch Liebe und Zärtlichkeit.

Aber bei Ewa Finn und ihrem Spiel mit Realitäten ist man auf der Hut. Und man tut gut daran.

Geht man zu den Zeichnungen der Künstlerin über, so sucht man bei den Figuren nach dem, was ausgelassen wird, fehlt.

Vier Menschen in Kampfanzügen und -haltung fixieren ihr Ziel. Die Hände sind leer. Und dennoch weiß man, dass sie töten werden.

Zumindest sollte man sich nicht in Sicherheit wiegen, auch wenn keine Waffe zu sehen ist.

Ein Mann sitzt im Kapuzenpulli auf einem Bordstein, auf seinem Schoß ein Hund. „Madonna“.

Das Bild verblasst nach unten. Seine Füße sind nicht mehr zu sehen. 

„Weil er keinen Boden hat“, sagt Ewa Finn über die Begegnung mit einem Obdachlosen, die sie zu dieser Zeichnung inspiriert hat.

Die Bilder zeigen Schmerz, Folter, Tod. Und hin und wieder blitzt die Zartheit des Lebens auf.

Man sollte sich nur nicht darauf verlassen.

 

 Hamburg, 07.11.2018

 Silke Tobeler

https://femalegazesite.wordpress.com